Öffentliche Buchpräsentation: Schnidejoch und Lötschenpass: Archäologische Forschungen in den Berner Alpen
14. August 2015 Medienmitteilung; Bildungs- und Kulturdirektion
Im Hitzesommer 2003 entdeckte eine Wanderin auf dem Schnidejoch ein aus dem Eis geschmolzenes archäologisches Objekt. Der Archäologische Dienst des Kantons Bern hat in den folgenden Jahren die hochalpine Fundstelle eingehend untersucht und zahlreiche weitere Funde geborgen. Nun gibt er die Auswertungsergebnisse in einer zweibändigen Publikation heraus und stellt diese in Lenk der Öffentlichkeit vor.
Der Rückgang der Gletscher ist eine der augenfälligsten Veränderungen der globalen Klimaerwärmung. Von ihr betroffen sind auch archäologische Objekte, die über Jahrtausende hinweg im Eis überdauert haben und nun durch dessen Schmelze zum Vorschein kommen. So fand im Hitzesommer 2003 eine Wanderin auf einer Bergtour am Schnidejoch (2756 m ü. M.) in den westlichen Berner Alpen ein fremdartiges Objekt aus Birkenrinde, das sich als Teil eines 4800 Jahre alten Bogenfutterals herausstellte.
Archäologie in den Hochalpen
In den Jahren 2004 bis 2011 unternahm der Archäologische Dienst des Kantons Bern über 30 Begehungen der Nordseite und – in Zusammenarbeit mit der Walliser Kantonsarchäologie – auch der Südseite des Schnidejochs. Zahlreiche weitere Funde aus Holz, Leder und Metall konnten geborgen und anschliessend wissenschaftlich untersucht werden. Einbezogen in die Untersuchung wurden auch die bronzezeitlichen Funde vom Lötschenpass (2678 m u. M.), die zwischen 1934 und 1944 als erste in den Berner Alpen aus dem Eis geborgen wurden, sowie weitere Fundstellen dies- und jenseits des nördlichen Alpenkamms.
Einzigartige Funde
Zu den spektakulärsten Funden vom Schnidejoch zählt das Bogenfutteral aus Birkenrinde. Nach dem ersten Fund von 2003 wurden 2005 weitere Teile gefunden, die inzwischen zusammengefügt werden konnten. Das Bogenfutteral ist eine hinsichtlich Material und Fertigungsweise ausgereifte Schutzhülle für Pfeil und Bogen. Das Futteral ist weltweit ein archäologisches Unikat, bislang wurde kein vergleichbares Objekt gefunden. Unter den rund 900 Funden stechen zudem ein Pfeilbogen, mehrere vollständige Pfeile und Fragmente einer Schale aus Ulmenholz hervor. Bei der Schale handelt es sich um das älteste Holzgefäss der Schweiz (um 4500 v. Chr.). Weitere spektakuläre Funde sind ein bronzezeitliches Holzgefäss aus Birkenrinde, eine bronzezeitliche Gewandnadel sowie Bekleidung und Schuhe aus Leder. Insbesondere die Lederfunde aus dem Neolithikum bilden weltweit die grösste Kollektion von prähistorischen Lederobjekten.
Das Besondere der Entdeckungen am Schnidejoch ist die sehr gute Erhaltung, das hohe Alter der frühesten Objekte und die grosse Zeitspanne des Fundmaterials: Die ältesten Funde stammen aus dem Zeitraum 4800–4300 v. Chr., die jüngsten Funde am Schnidejoch datieren ins Mittelalter und sind rund tausend Jahre alt. Prof. Dr. Albert Hafner vom Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern meint: «Nur wenige Fundstellen in Europa decken sämtliche Epochen von der Jungsteinzeit über die Bronzezeit, die Eisenzeit und die römische Epoche bis in das Mittelalter ab.» Die archäologischen Funde vom Schnidejoch belegen, dass der Passübergang ins Wallis über nahezu 6000 Jahre hinweg begangen wurde. Hier ist sowohl an eine Nutzung durch Jäger und Hirten, die sich zur Jagd oder Weidewirtschaft in den hochalpinen Gebieten aufhielten, als auch an Händler zu denken, die den Pass als Verbindung zwischen den Walliser und Berner Tälern zum Austausch ihrer Waren überquerten.
Wissenschaftliche Untersuchung und Veröffentlichung
Der Archäologische Dienst hat nun die Ergebnisse der interdisziplinären Auswertungen einer Gruppe von 30 Fachspezialisten unter der Leitung von Albert Hafner in einer zweibändigen Publikation herausgegeben. Es ist das erste Mal, dass archäologische Funde aus dem Grenzgebiet der Kantone Bern und Wallis gemeinsam vorgelegt werden. Die Beiträge sind deshalb zu einem grossen Teil zweisprachig – französisch-deutsch – verfasst.
Die Publikation wird am 20. August 2015, 18.30 Uhr in der Aula des Schulhauses Lenk im Rahmen einer Vernissage der Öffentlichkeit übergeben. Albert Hafner hält einen Vortrag zum Thema Berner Oberland und Wallis: Alpine Passübergänge seit 6000 Jahren. Die Lenker Gemeinde nutzt den Anlass, um den vom Bernischen Historischen Museum erworbenen «Schnidi» aus der Pfahlbauausstellung von 2014 in Lenk willkommen zu heissen.
Angaben zur Publikation:
Albert Hafner, Schnidejoch und Lötschenpass. Archäologische Forschungen in den
Berner Alpen / Schnidejoch et Lötschenpass. Investigations archéologiques dans les Alpes bernoises. 2 Bde. / 2 vol. Bern 2015. Insgesamt 524 S. mit 416 Abb. Preis: CHF 68.–. ISBN 978-3-907663-35-6. Zu beziehen beim Archäologischen Dienst des Kantons Bern, adb@erz.be.ch, 031 633 98 22.
Mediendokumentation
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Bild anzeigen Fotomontage der auf dem Schnidejoch 2003 und 2005 in vier Teilen gefundenen Fragmente des Bogenfutterals aus Birkenrinde und links davon der Bogen. © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Badri Redha.
Bild anzeigen Blick über das schneebedeckte Eisfeld am Schnidejoch Richtung Nordwesten. Aufnahme von 2007. © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Kathrin Glauser.
Bild anzeigen Kathrin Glauser beim Fotografieren eines Gegenstandes in situ und Albert Hafner beim Freilegen des neolithischen Bogenfutterals aus Birkenrinde. Blick nach Westen. Aufnahme von 2005. © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Urs Messerli.

Bild anzeigen Die bei der ersten Begehung der Fundstelle nach dem Erstfund auf dem Schnidejoch entdeckte frühbronzezeitliche Scheibenkopfnadel. Sie lag unter Geröll und wurde für die Aufnahme auf den Stein gelegt. Aufnahme von 2004. © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Kathrin Glauser.
Bild anzeigen Fundsituation des neolithischen Hosenbeins aus Leder auf dem Schnidejoch. Aufnahme von 2007. © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Urs Messerli.
Bild anzeigen Fundsituation eines Fragments der Holztasse, des ältesten Holzgefässes der Schweiz (um 4500 v. Chr.), mit Henkelöse. Aufnahme von 2005. © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Kathrin Glauser.
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