Der Kanton Bern war der erste Kanton der Deutschschweiz, der ein umfassendes Regelwerk für das Sexgewerbe einführte. Das Prostitutionsgewerbegesetz (PGG) trat am 1. April 2013 in Kraft. Bis dahin gab es entsprechende gesetzliche Grundlagen einzig in der lateinischen Schweiz. Das PGG hat zum Ziel, Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter vor Ausbeutung und Missbrauch zu schützen, präventiv wirkende soziale und gesundheitsfördernde Massnahmen umzusetzen sowie die Bevölkerung vor störenden Begleiterscheinungen der Prostitution zu schützen. Kernstück ist die Bewilligungspflicht für Betreiberinnen und Betreiber von Sexsalons.
Wirkung wird fortlaufend überprüft
Der Grosse Rat und der Regierungsrat legten in der Entstehungsphase des PGG und der entsprechenden Verordnung grossen Wert darauf, dass die Entwicklungen im Sexgewerbe eng begleitet und die Wirksamkeit der gesetzlichen Regelung fortlaufend überprüft werden. Deshalb setzte der Regierungsrat eine interdisziplinäre Fachkommission ein, die regelmässig Bericht erstattet und damit wichtige Erkenntnisse über Veränderungen und allfälligen Rechtsetzungsbedarf liefert. 2020 veranlasste die Sicherheitsdirektion eine umfassende und unabhängige Evaluation der Wirkung des PGG. Eine solche Bewertung war seitens der Sicherheitsdirektion von Beginn weg geplant. Beauftragt wurde das Institut für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Legale und reglementierte Prostitution bietet besseren Schutz
Die Autoren des Evaluationsberichts, Dirk Baier und Nina Ruchti, kommen zum Ergebnis, dass sich die gesetzlichen Bestimmungen insgesamt bewährt haben. Auch wenn die Ziele des PGG nicht vollständig erreicht worden seien, bestehe derzeit wenig Anlass, das Gesetz zu ändern. Die verschiedenen vom Evaluationsteam befragten Akteurinnen und Akteure sind sich grundsätzlich einig, dass die Legalisierung und Reglementierung des Prostitutionsgewerbes weiterhin richtig sei. Jegliche Formen des Verbots der Prostitution – des Anbietens, der Ausübung, der Inanspruchnahme usw. – würden gemäss den Fachleuten zu mehr Problemen führen als deren Legalisierung und Kontrolle. Der Regierungsrat schliesst sich dieser Haltung an.
Ausnahmeregelung bei der Bewilligungspflicht soll erweitert werden
Die insgesamt zehn Optimierungsvorschläge im Bericht wurden der interdisziplinären Fachkommission für das Prostitutionsgewerbe zur Beurteilung vorgelegt. Der Regierungsrat geht mit der Fachkommission einig, dass die gesetzlichen Anforderungen insbesondere für Kleinstbetriebe zu hoch sind und es deshalb eine Vereinfachung braucht. Der Zusammenschluss von einzelnen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern bietet in der Regel einen besseren Schutz vor Ausbeutung als grössere Etablissements. Darum beauftragt der Regierungsrat die Sicherheitsdirektion mit einer Verordnungsänderung, die eine entsprechende Ausnahme von der Bewilligungspflicht vorsieht. Der Gesetzgeber hat dem Regierungsrat im PGG die Möglichkeit dafür eingeräumt.
Nützliche Beratungsangebote
Der Regierungsrat teilt zudem die Einschätzung der Fachkommission, dass die Fachstelle Xenia für Personen im Sexgewerbe in vielen Bereichen bereits ein wertvolles Angebot hat. Es besteht deshalb kein unmittelbarer Bedarf, dieses weiter auszubauen. Auch die Gespräche der Migrationsbehörden mit den häufig ausländischen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern haben sich nach Einschätzung der Fachpersonen bewährt. Die Kantonspolizei führt eine spezialisierte Fachgruppe, die durch ihre Kontakte und Präsenz ebenfalls viel Vertrauen aufbauen konnte.
Die Bevölkerung sensibilisieren
Der Regierungsrat ist sich bewusst, dass der Schutz der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter nur dann verbessert werden kann, wenn das staatliche Handeln fortlaufend überprüft und optimiert wird. Ebenso wichtig ist es, die Bevölkerung für die Situation der Menschen im Sexgewerbe zu sensibilisieren. Ein Verbot sowie eine Kriminalisierung der Sexarbeit und ihrer Inanspruchnahme würden die Situation der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter wesentlich verschlechtern. Eine aktive Rolle des Staates beim Gesundheitsschutz sowie beim Schutz vor Ausbeutung und Missbrauch dient ihnen deutlich mehr.
Sexarbeit in der Schweiz
Gemäss einer Studie der Universität Genf aus dem Jahr 2009 wird die Anzahl der Sexarbeitenden in der Schweiz auf 13'000 bis 20'000 Personen geschätzt. Für den Kanton Bern gehen die Autoren der Studie und die Kantonspolizei von 1150 bis 1800 Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern aus, die vor allem in den Regionen Bern und Biel tätig sind. Prostitution wird hauptsächlich von Frauen und Personen ausländischer Herkunft ausgeübt. Ihre Mobilität ist meist hoch und ihre Verweildauer kurz.