Das Priorat Rüeggisberg war eine Niederlassung des burgundischen Klosterverbandes von Cluny und gehört neben Romainmôtier und Payerne zu den eindrücklichsten Denkmälern der Cluniazenserarchitektur in der Schweiz. Die Anlage wurde von 1938 bis 1947 durch Hans R. Hahnloser sowie anlässlich von Konservierungsarbeiten von 1988 bis 1991, im Jahr 1996 und von 2016 bis 2021 durch den Archäologischen Dienst des Kantons Bern untersucht. Sie steht unter dem Schutz des Bundes und des Kantons und ist auch im Besitz des Kantons Bern. Heute wird sie von der Gemeinde Rüeggisberg kulturell genutzt. Ausserdem ist die Klosterruine ein Etappenort auf dem von Pilgerinnen und Pilgern begangenen Jakobsweg nach Santiago de Compostela.
Neu gestaltetes Museum mit Audiostationen und 3D-Rekonstruktionen
Im Zuge der Restaurierung der Klosterruine von 2019 bis 2022 hat der Archäologische Dienst, mit tatkräftiger Unterstützung des Naturparkes Gantrisch und der Gemeinde Rüeggisberg, das seit 1947 bestehende kleine Museum neugestaltet. Hier erfahren Besucherinnen und Besucher mehr über die Geschichte und die Bauentwicklung des Klosters. Höhepunkt der Ausstellung ist eine Auswahl der einmaligen romanischen Skulpturen. Ihr Stil und ihre Motive zeigen Einflüsse sowohl aus dem Burgund als auch aus Oberitalien. Audiostationen mit Hörspielen sowie ein Monitor mit 3D-Rekonstruktionen und Interviewfilmen laden dazu ein, in die Vergangenheit von Rüeggisberg einzutauchen. Im Klosterareal aufgestellte Informationsstelen mit Rekonstruktionen ermöglichen einen direkten Vergleich von damals mit heute. Ein Flyer bietet einen Überblick zu den verschiedenen Informationen.
Schwierige Geschichte nach schwungvollem Start
Trotz anfänglich grosser Pläne kam die in den 1070erJahren entstandene Klosteranlage nie zu grosser Blüte. So konnte dank der jüngsten archäologischen Untersuchungen 2020 nachgewiesen werden, dass ein Langhaus in Rüeggisberg zwar geplant gewesen und dessen Umfassungsmauern in den Fundamenten ausgelegt worden waren. Wahrscheinlich aus finanziellen Gründen wurde aber auf den Bau des Kirchenschiffs verzichtet und nur eine Rumpfkirche bestehend aus einem Querhaus und fünf Apsiden erstellt. 1484 wurde das Kloster aufgehoben und die Anlage auf einen landwirtschaftlichen Gutsbetrieb und das Pfarrhaus reduziert. Nach der Reformation brach man die Kirche bis auf den Nordarm und Teile der Ostwand des Querschiffs ab. Auch die Gebäude des Konvents sind im Lauf der Jahrhunderte weitgehend verschwunden.
Mischstil zeigt die internationale Vernetzung
Die Klosteranlage Rüeggisberg ist wie kein anderer Bau beispielhaft für die sich im 11. Jahrhundert anbahnende Entwicklung der Bauplastik. Erstmals wird hier der Wille der Steinmetze spürbar, Mauerflächen mittels plastischer Elemente zu beleben. Dieser Stil schlägt eine Brücke zwischen dem Frühmittelalter und der Romanik. Die Motive verraten verschiedene Einflüsse: Gewisse Elemente sind von römischer Architektur abzuleiten. Der Flechtbanddekor hingegen erinnert an frühmittelalterliche Steinmetzarbeiten.
Die Kirche weist einen faszinierenden Mischstil auf, der die internationale Vernetzung der Cluniazenser zeigt: Während die Grundrissauslegung der Klosterkirche burgundische Herkunft verrät, zeigt das Bauwerk auch viele Züge oberitalienischer, lombardischer Romanik, sei es in der hervorragenden Bauskulptur, sei es in der Verwendung von Ziegeln oder in der Plattenverkleidung von Pfeilern und Bogen. Verblüffend ist die Ähnlichkeit der Tierdarstellungen von Rüeggisberg zu Fabelwesen in Kirchen der Lombardei.
Wissenschaftliche Publikation
Die jüngste Sanierung der Klosterruine Rüeggisberg bot Anlass, die bisher nur in Vorberichten veröffentlichten Erkenntnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen durch Professor Hans R. Hahnloser und den Archäologischen Dienst zu publizieren. Sieben Autorinnen und Autoren, Fachleute der Mittelalterarchäologie und Kunstgeschichte, präsentieren in diesem Werk verschiedene Aspekte der Geschichte des Klosters Rüeggisberg. Der Bogen spannt sich von der historischen Überlieferung über die Baugeschichte, die Skulptur und Malerei bis zum Schicksal des Areals nach der Reformation. Zusammen mit der Eröffnung des neu eingerichteten Museums wird damit eine Lücke geschlossen.
Eröffnung des Museums und Buchvernissage
Am Freitag, 16. September 2022, ab 15 Uhr, finden in der Klosterruine Rüeggisberg die Eröffnung des neugestalteten Museums und die Buchvernissage statt. Teilnehmen werden Therese Ryser, Gemeindepräsidentin von Rüeggisberg, Lydia Plüss, Geschäftsführerin des Naturparks Gantrisch, Christine Häsler, Regierungspräsidentin und Bildungs- und Kulturdirektorin des Kantons Bern, und Adriano Boschetti, Leiter des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern, Kantonsarchäologe. Den thematischen Schwerpunkt der Veranstaltung bildet ein Vortrag von Georges Descoeudres, emeritierter Professor am Kunsthistorischen Institut der Universität Zürich, und Guido Faccani, Kunsthistoriker und Mittelalterarchäologe. Sie sind die beiden Hauptautoren des Buches. Die Veranstaltung ist öffentlich.
Angaben zur Publikation
Georges Descoeudres et al., Rüeggisberg – ehemaliges Cluniazenserpriorat. Untersuchungen zur Baugeschichte und zum Skulpturenschmuck. Hefte zur Archäologie im Kanton Bern 11 / Cahiers d’archéologie du canton de Berne 11. Bern 2022. 312 S., 148 Farbabbildungen, Preis: 36 Franken
ISBN 978-3-9525608-1-5
Erhältlich beim Archäologischen Dienst des Kantons Bern, adb.sab@be.ch, Tel. 031 633 98 00, oder im Buchhandel.